Prinzipien des Shiatsu

Das Wissen der chinesischen Medizin – um die Wirkung von Akupunkturpunkten, den Tsubos und den Arzneimitteln und Heilrezepten – beruht auf jahrhundertelanger Erfahrung. Deshalb zählt man die chinesische Medizin zur Erfahrungsmedizin. Dieses Wissen bildet die Grundlage für die in Japan verfeinerte manuelle Komplementärherapie Shiatsu.

Das alte Heilwissen wurde durch die Jahrhunderte nach und nach systematisiert und in Einklang mit allgemeineren Erkenntnissen über die Beschaffenheit der Welt gebracht. Während anfänglich eher magische Vorstellungen überwogen, entwickelten sich zunehmend medizinische Theorien, die erstaunlich im Einklang stehen mit dem europäischen Heilwissen.

Die vor allem taoistisch geprägte chinesische Naturphilosophie geht von der Vorstellung einer sich in stetigen Kreisläufengesetzmässig wandelnden Welt aus. Angetrieben wird dieser Wandel von den polaren Urprinzipien yin und yang, und er folgt den durch die fünf Wandlungsphasen vorgegebenen Beziehungen.

Kurz gefasst
Yin und Yang sind die Grundlage von allem. Alle Dinge und Erscheinungen beeinflussen sich nach bestimmten Prinzipien des Energieaustauschs. Chi (Lebenskraft) zirkuliert im Körper in den Leitbahnen (Meridianen). Das System der Leitbahnen umfasst mehrere Ebenen: Das Meridiansystem, die Extrameridiane, das divergente System, das Ozean- und kosmische System sowie Meridiane für Muskeln und Sehnen.

Yin & Yang

Die Theorie von yin und yang ist die allgemeine Grundlage der chinesischen Medizin. Ihre vermutlich früheste Erwähnung findet sich im „Buch der Wandlungen“ yi jing (I Ging), einem noch heute verwendeten Orakelbuch aus dem 7. Jhd. v. Chr.

Yin und yang bezeichnen die zwei grundlegenden Prinzipien der Polarität, die als Gegensätze dennoch in Einheit verbunden sind und den Keim zum Übergang in ihren Gegenpart bereits in sich tragen. Alle Naturphänomene und Lebensprozesse lassen sich durch dieses aufeinander bezogene Wechselspiel erklären.

Die 5 Wandlungsphasen

Mit den fünf Wandlungsphasen wird ein System der Beziehungen und gegenseitigen Beeinflussung von Dingen und Erscheinungen beschrieben. Ist das System in Harmonie, bedeutet das auf Körper, Geist und Seele des Menschen übertragen Gesundheit.

Die fünf WandlungsphasenJede Wandlungsphase beinhaltet charakteristische Qualitäten und Zuordnungen auf unterschiedlichen Ebenen. Jede Wandlungsphase steht mit allen übrigen in Beziehung, als nährende Mutter oder ernährtes Kind, als Kontrollierende oder Kontrollierte, so dass sich ein dynamisches, immer wieder selbst stabilisierendes Gleichgewicht der Wandlungsphasen untereinander einstellt.

Wenn einzelne Wandlungsphasen durch äussere oder innere Einflüsse (z.B. Stress, Wetter, Ernährung, Emotionen) gestärkt oder geschwächt werden, wird dieses Gleichgewicht gestört. Die ausserordentlich komplexen Qualitäten und Beziehungen der Wandlungsphasen werden in der chinesischen Medizin sowohl zur Diagnose wie zur Therapie herangezogen. Durch gezielte Stärkung oder Schwächung betroffener Wandlungsphasen wird wieder ein harmonisches Gleichgewicht hergestellt.

Chi

Nach chinesischer Vorstellung funktionieren Körper, Geist und Seele durch die kontinuierliche Interaktion bestimmter vitaler Energien und Substanzen, deren Stofflichkeit unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Basis und Quelle von all dem ist Chi.

Chi wird oft als Energie oder Lebenskraft übersetzt, was der Vielschichtigkeit dieses Begriffes nicht ganz gerecht wird. Chi kann sich überall und durchaus auch materiell manifestieren. Das „ki“ in Reiki ist der japanische Begriff für Chi.

Das Schriftzeichen für Chi (nebenstehend) vereinigt zwei bildhafte Komponenten: das oben stehende Zeichen für „Dampf“ symbolisiert seine immaterielle Natur, das darunter stehende Zeichen für „ungekochter Reis“ seine materielle. Dieses Denken entspricht den Kontinuum von Energie und Materie – Albert Einstein erkannte diese Verbindung von Energie und Materie auch als die Grundlage der modernen Physik.

Diese Doppelnatur des Chi durchzieht das gesamte Universum und stellt ebenso das materielle, „irdische“ wie auch spirituelle, „himmlische“ Substrat der physischen wie psychischen Existenz des Menschen dar. Im Körper befindet sich Chi in einem stetigen Prozess des Fliessens und der Umwandlung sowie des Austausches mit dem Chi der belebten wie unbelebten Umwelt.

Chi manifestiert sich abhängig von seiner Lokalisation und Funktion höchst unterschiedlich. Das gesamte Chi des Körpers besteht aus ererbten (Ursprungs-Chi oder Abwehr-Chi) und durch Nahrung und Atmung aufgenommener Energie (Nähr-Chi). Abwehr- und Nähr-Chi zirkulieren im Körper und erfüllen vielfältige Aufgaben – ihre Stärke und Qualität entscheiden letztlich über die Lebenskraft psychische Gesundheit und Widerstandskraft des Menschen.

Der wesentliche Ort der Zirkulation des Chi sind die Leitbahnen des Körpers, die Meridiane. Mangelndes, gestautes oder gegen seine physiologische Richtung bewegtes „rebellierendes“ Chi führt zur Entstehung von Krankheiten. Auch Arznei- und Lebensmittel können Stärke und Fluss des Chi beeinflussen. Ebenso gibt es spezielle Übungen wie die des Chi Gong (= Chi Arbeit).

Meridiane

Die chinesische Bezeichnung lautet „jing luo“. Die ursprüngliche Bedeutung des Zeichens „jing“ war „Längsfäden eines Gewebes“. Die oft verwendete Bezeichnung „Meridian“ beruht auf frühen Übersetzungen.

Die Meridiane bilden ein System von über und durch den Körper verlaufenden, untereinander vernetzten Transportbahnen für Chi. Die insgesamt 12 Leitbahnen stehen durch tief liegende innere Leitbahnäste in Verbindung. Der oberflächliche Teil des Leitbahnverlaufs trägt die Tsubos, die Akupunkturpunkte.

Am Kopf, den Händen und an den Füssen verbinden „Netzleitbahnen“ kettenförmig Ende und Anfang von zwei Leitbahnen – jeweils vier Leitbahnen bilden einen Umlauf. Die einen Leitbahnen umlaufen den Körper eher auf der Vorderseite, die anderen eher auf der Rückseite.

In drei aufeinander folgenden Umläufen wird so der gesamte Körper im Laufe eines Tages vom Chi durchströmt. Dieser tägliche Kreislauf durch die Leitbahnen ist im Westen auch als „Organuhr“ bekannt geworden.

Wie ihre zugehörigen Organe sind auch die Leitbahnen nach yin und yang, den fünf Wandlungsphasen und weiteren Aspekten differenziert, so dass sich ein komplexes System von Beziehungen ergibt, das sinnvoll für die Auswahl von Tsubos und besonders günstigen Zeiten für die Behandlung bestimmter Erkrankungen ist.

Bild: Meridiankarte von Shizuto Masunaga

Das tiefere Meridiansystem

Neben den beschriebenen 12 Leitbahnen (Regular Meridians) existieren noch weitere

  • 8 Gefässe, die als “Ausserordentliche Leitbahnen” (Extran Meridians) bezeichnet werden. Ihre Funktion ist der von mit Schleusen ausgestatteten Verbindungskanälen vergleichbar, durch die sich unterschiedliche Energieniveaus in den regulären Leitbahnen ausgleichen lassen. Mit ihnen kann besonders tiefgehend gearbeitet werden, zB bei Trauma-Arbeit.
  • das Divergente Meridiansystem (Divergent Meridians), mit welchem das Immunsystem besonders gut angesprochen werden kann.
  • das Ocean-System (Two Oceans, Four Oceans), mit welchem die Organe besonders gut angesprochen werden können.
  • das kosmische System, das den Körper mit frischer Energie aus der Umwelt versorgt.
  • und nicht zu vergessen das Tendinomuskuläre System, das sich auf Muskeln und Sehnen bezieht (den “Körperpanzer”), mit dem Verspannungen besonders gut gelöst werden können.

Bild: Tetsuro Saito, Veranschaulichung der Bewegungen in den tieferen Systemen